Das Feld der Ehre – Passchendaele (Beitrag überarbeitet)

Der Schauspieler, Regisseur und Produzent Paul Gross, den meisten hierzulande als „Ein Mountie in Chicago“ (OT: „Due South) bekannt und weniger über seine zahlreichen anderen Aktivitäten im Fernsehen und auf der Bühne, hat mit „Das Feld der Ehre – Passchendaele“ (OT: „Passchendaele“) ein kanadisches Kriegstrauma des Ersten Weltkrieges zum Thema auserkoren, zu dem er seine ganz eigene, persönliche Verbindung hat: Gross‘ Großvater Michael Joseph Dunne kämpfte selbst auf den Schlachtfeldern Belgiens und diente seinem Enkel als Inspiration für die gleichnamige Hauptfigur des Sergeant Michael Dunne (gespielt von Paul Gross selbst). Dieser hatte während eines Einsatzes an der Front einen jungen deutschen Soldaten durch einen Bajonettstich in die Stirn getötet und Zeit seines Lebens unter der Last dieser Tat gelitten – wie er seinem Enkel Paul als einzigen Vertrauten erzählte1 .Es ist also nur verständlich, den Film auch als Versuch des Enkels Gross zu verstehen, die Schuld des Großvaters zu verarbeiten und ihm – wie seinem filmischen Alter Ego – eine nachträgliche Form der Sühne und Vergebung zu Teil werden zu lassen. In dieser Hinsicht, ebenso wie in der überzeugenden Charakterisierung Dunnes, der detailreichen und authentisch wirkenden Darstellung der Kriegsatmosphäre sowie einigen geschliffenen Dialogen lässt sich der Film durchweg empfehlen. Schwieriger steht es mit der Frage, ob das Kriegsdrama aufgrund der Menge an angesprochenen Themen und Interpretationsmöglichkeiten nicht dort zu überladen ist, wo es ihm angesichts der konstruiert wirkenden Handlung, einigen Logiklöchern und einer unausgegorenen Liebesgeschichte an emotionaler Tiefe fehlt.

Gleich zu Beginn werden wir nicht nur in das Schlachtgetümmel eines Häuserkampfes hineingeworfen, sondern in eine Schlüsselszene des Films, die beispielhaft für die überaus gelungene Darstellungsweise – da extrem nüchtern und unerwartet daherkommend – von besonders schockierenden Momenten im Kriegsgeschehen ist: Bevor er selbst verwundet wird, sehen wir der Hauptfigur Sergeant Michael Dunne bei der Tötung des sich ergebenden jungen Deutschen zu. Mit dem Bajonett sticht er dem wehrlosen Jungen mit den „wasserblauen Augen“ mitten in die Stirn und trifft damit eine schicksalsschwere Entscheidung. Fortan wird ihn die Schuld begleiten und er einen Weg aus ihr heraus in die Vergebung suchen.

Im Film kehrt der kriegsversehrte Michael jedoch zunächst zurück nach Calgary, Kanada, und lernt dort im Lazarett die schöne und zurückhaltende Sarah Mann (Caroline Dhavernas; momentan neben Hugh Dancy und Mads Mikkelsen im neuen Serienhit „Hannibal“ [OT: „Hannibal“] als Dr. Alana Bloom zu sehen) kennen. Ohne dass sich beide Figuren zu diesem Zeitpunkt darüber bewusst sind, verbinden sie ein persönliches Trauma und der Wunsch, Vergebung für eigene oder familiäre Taten zu erlangen. Sarahs Bruder David (Joe Dinicol; eine der Hauptfiguren in der neuen für Amazon Prime Instant Video bestellten Serie „Betas“ ) – wegen seiner Asthmaerkrankung als kriegsuntauglich eingestuft – strebt unterdessen eine Verlobung mit Cassie (Meredith Bailey) an, Tochter des vermögenden und einflussreichen Dr. Walker (David Ley). Als dieser von den Plänen der jungen Leute erfährt, brüskiert er David und verlangt als Gegenzug für seine Einwilligung Davids Meldung als Kriegsfreiwilliger. Derselbe Dr. Walker ist es auch, der als Mitglied einer ärztlichen Untersuchungskommission vergeblich versucht, Michael zurück an die Front zu schicken; stattdessen wird dieser von einem anderen Arzt als „nervenschwach“ eingestuft und beginnt seinen Dienst in einem Rekrutierungsbüro an der Heimatfront.

Hier begegnet er zum ersten Mal David, der sich nun für den Kriegsdienst melden möchte. Michael lehnt dieses Gesuch wegen Davids Asthmas und – wir ahnen es – auch ob seiner Gefühle für dessen Schwester ab. Bei einem gemeinsamen Ausflug kommen sich der traumatisierte Soldat und die nicht minder „gebrochene“ Sarah tatsächlich näher, doch bevor ihr Michael seine Gefühle gestehen kann – das in dieser Szene vor Michaels geistigem Auge entworfene „Gemälde“ wird in seiner Symbolik (Wasser/Fluss überqueren etc.) noch mehrfach aufgegriffen werden – zieht sich Sarah zurück. Den Grund hierfür erfahren wir von Michaels Vorgesetztem Dobson-Hughes (Jim Mezon), einem pedantischen, pseudopatriotischen Engländer, dessen eigene Kampferfahrung allerdings nur auf dem Papier existiert. Er klärt Michael über die deutsche Herkunft von Sarahs Familie auf und berichtet ihm, dass ihr Vater nicht auf alliierter, sondern auf deutscher Seite bei Vimy Ridge (s. Schlacht von Arras) gefallen sei. In Folge dieser Aufdeckung verliert Sarah ihren Posten als Krankenschwester und sie und ihr Bruder sehen sich dem offenen Fremdenhass ihrer Nachbarn gegenüber. Während Sarah für einige Tage bei Michael unterkommt, lässt sich David – nun nichtmehr allein von seiner eigenen Verliebtheit verblendet, sondern auch vom Hass gegenüber seinem toten Vater und von der öffentlichen Schmach – von Dr. Walker ein neues ärztliches Attest ausstellen und meldet sich bei Dobson-Hughes zum Einsatz. Hier nun beginnt das eigentliche Drama des Films: Durch ein Missverständnis bricht Sarah mit Michael, und dieser erzwingt im Gegenzug von Dobson-Hughes, in Davids Kompanie versetzt zu werden. Mit einer Weißblende endet der erste Teil des Films und mit ihm das im Vergleich „beschauliche“ Leben in Kanada.

Drei Monate sind vergangen – und mit der Zeit sind auch die bis dahin kräftige Farbgebung und die munter-romantische Musikuntermalung verschwunden; kalte Blaugrau-Töne und das durchgängige Geräusch von Regen beherrschen die Szenerie. Michael und David, die zwischenzeitlich eine „Großer Bruder – Kleiner Bruder“-ähnliche Beziehung verbindet, erleben den Alltag im Feld: Dauerregen, Schlamm und Langeweile. Bis Michael unerwartet auf die mittlerweile im Feldlazarett arbeitende Sarah trifft. Bei einem abendlichen Treffen, inmitten der Ruinen und umgeben von Regen und Geschützdonner, lieben sie sich das erste Mal: Es ist ein letzter kurzer Moment der Nähe, den die beiden erleben werden, denn kurz darauf geht es für Michaels und Davids Einheit an die Front bei Passchendaele (s. Dritte Flandernschlacht). Während hier jeder Soldat auf seine Weise auf den Beginn des Gefechts wartet, hören wir Michaels zynisch-nüchterne Feststellung über das Mensch- und Soldatsein im Krieg: „(…) If you want to get through this you have to start seeing it for what it is. It’s something we do all the time because we’re good at it. And we’re good at it because we’re used to it. And we’re used to it because we do it all the time.“ Eines der vielen erfreulichen Zitate aus einem Kriegsfilm, der unter dem unsäglichen deutschen Titel „Das Feld der Ehre“ veröffentlicht wurde.

Ob Michaels These tatsächlich zutrifft, können die Soldaten bald selbst überprüfen, denn schon erfolgt der Befehl, an die vorderste Frontlinie vorzurücken. Dort verläuft nichts nach Plan: Das aus mehreren hundert Mann bestehende Bataillon tritt mit Auftauchen der Verstärkung den Rückzug an und lässt die wenigen Kämpfer des Zugs rund um Michael allein. Es folgt eine kurze Atem- und Gefechtspause für Protagonisten und Zuschauer vor dem letzten Kampf: Die Bilder werden langsamer, der Ton heruntergedreht – wir warten. Wir warten, während die ersten Artilleriesalven einige Mitstreiter neben uns töten; wir warten, während wir den Feind auf uns zustürmen hören und auch dann noch, als wir ihn bereits wenige Meter vor uns sehen. Der nun folgende Kampf ist sehr nah und brutal, er geht Mann gegen Mann, mit Bajonetten, Gewehrkolben, Messern und bloßen Fäusten und ist selbst für erprobte Kriegsfilmzuschauer erstaunlich hart, ohne in eine Gewaltorgie oder -phantasie abzudriften.

In dieser Situation geschieht das Verhängnis: David rennt hinüber zu den deutschen Linien und wird dort im Schützengraben von der Wucht einer Granatdetonation an eine Holzformation geworfen, an der er im Stacheldraht verheddert wie das Bild Christi am Kreuz aus dem Graben ragt. Ob David wie sein biblischer Namensvetter zum alleinigen Kampf gegen den übermächtigen Feind antreten wollte, ist unklar; sicher erscheint hingegen die Absicht von Regisseur Gross, mit dem Bild des „gekreuzigten“ David neben dem biblischen Bezug auf einen bekannten – und bereits in der ersten Hälfte des Films angesprochenen – alliierten Propagandamythos aus dem Ersten Weltkrieg anzuspielen. Wir, die Zuschauer, ahnen, was folgen wird: Michael will David retten, kämpft sich im Kugelhagel vorwärts, wird angeschossen und schultert trotzdem das „Kreuz“ mit dem bewusstlosen David: eine Doppelung des biblischen Bildes. Dann pausiert der Film für einen Moment: Der Regen hat aufgehört, und wie zu Beginn der Handlung zieht ein Falke einem Todes- oder Hoffnungsboten gleich seine Kreise über den blauen Himmel.

Das hierauf folgende Ende ist in Hinsicht auf seine Intention rund und beschert allen beteiligten Figuren eine Charakterentwicklung, die vielleicht etwas zu idealistisch, aber dennoch nicht unangenehm ist. Im Übrigen erinnert das Kriegsdrama in seiner Struktur und Interpretationsfähigkeit eher an ein literarisches Werk und nicht an einen durchschnittlichen (Kriegs-)Film, bedenkt man allein die Vielzahl an aufgegriffenen Themen (Kriegstrauma, Schuld und Sühne, Fremdenfeindlichkeit, gesellschaftlicher Gruppenzwang, enthnische Minderheiten im Korps etc.), Symbolen (der Falke, der Fluss bzw. Wasser) oder das allgegenwärtige christliche Leitmotiv (Kreuz(igung), Verknüpfung von biblischen Namen mit Taten, Sünde/Sühne). Für manch einen Zuschauer dürfte der Eindruck entstehen, einer wissenschaftlichen Abhandlung zu bedürfen, um all dies in seiner Gesamtheit analysieren und deuten zu können.

Allerdings steckt gerade in dieser Detailverliebtheit eine der Stärken des Dramas. Das immer wiederkehrende Motiv um die Bedeutung von trockenen Streichhölzern im Krieg etwa, wirkt aus dem Kontext herausgenommen zwar banal, trifft aber – ohne auf deren potenzielle Symbolik einzugehen – den Kern dessen, was den Unterschied zwischen der abgeklärten und vom gesunden Menschenverstand beseelten Person des Michael Dunne und einer von einem falschen Patriotismus verblendeten und verlogenen Gesellschaft ausmacht. In derselben Weise funktionieren die Dialoge zwischen ihm und Dobson-Hughes, Dr. Waters und David – allesamt Charaktere, die als sein Gegenbild konzipiert sind.  Letzten Endes ist es Michael selbst, dem wir als Zuschauer gerne folgen, egal, welchen vermeidbaren Schicksalswendungen er sich hingeben muss.

An dieser Stelle muss ich das verallgemeinernde „Wir“ verlassen und zum „Ich“ übergehen: Trotz all der beschriebenen Schwächen und Ungereimtheiten hat mich „Passchendaele“ dennoch so fasziniert, dass ich ihm mit meiner Kritik gerecht werden möchte. Ich möchte ein umfassendes Bild über seine begeisternden Facetten auf der einen und seine Unzulänglichkeiten auf der anderen Seite zeichen. Und hier liegt nicht nur die Krux des Ganzen, sondern auch mein persönliches „Trauma“: Indem ich sowohl das Große als auch das Kleine zu erfassen versuche und dabei die Rezension unzählige Male umgeschrieben, ergänzt und wieder gekürzt habe, ist mir dasselbe passiert wie dem Film, der viele Themen anpackt, sie aber weder in ihrer gebotenen Tiefe auslotet noch gewichtet: ich verliere mich und bleibe unentschlossen.

Umso entschlossener zeigte sich hingegen die Vermarktungsstrategie des Films in Kanada: Während sie sich voll und ganz auf die Liebesgeschichte vor dem Hintergrund einer der größten kanadischen Schlachten des Ersten Weltkriegs konzentrierte, wirbt der deutsche DVD-Vertrieb mit Knaller-Zitaten wie „Die Schlachten sind grauenerregend…Das Tempo atemlos.“ (Filmstar) auf dem DVD-Cover. Leider (oder sagen wir besser: Gott sei Dank) handelt es sich bei „Das Feld der Ehre“ jedoch weder um einen Schmachtfetzen noch um ein sinnloses Actionspektakel, was eventuell erklären dürfte, warum der im Jahr 2009 mit dem Genie Award (jetzt: Canadian Screen Awards) – dem kanadischen Äquivalent der Academy Awards in den USA – ausgezeichnete und mit einem Budget von 20 Mio. Dollar bis dahin teuerste kanadische Film leider keinen großen Anklang beim Kinopublikum fand. So ist der der Film zu klug und vielschichtig, um den durchschnittlichen Popcornkinogänger zu interessieren, zu unromantisch, um die emotional Dürstenden unter uns anzusprechen, und zu plakativ, um klassischen Cineasten zu gefallen. Wer da noch übrig bleibt? Vielleicht all jene unter uns, die von einem Film mehr als eine adäquate Zielgruppenansprache erhoffen und dafür auch gerne über gewisse Mängel einer Produktion hinwegschauen, solange der Gesamteindruck stimmt. Scheinbar bin ich letztlich doch entschlossener als ich dachte. Für alle, die es immer noch nicht sind: DVD besorgen, einlegen und angucken!

Tipp: Die nach fünf Jahren immer noch aktive offizielle Website des Films (http://www.passchendaelethemovie.com/) liefert eine Menge Informationen zum Film und besonders zu seiner historischen Grundlage. So finden sich auf einer Flash-Site neben dem Trailer zum Film und Informationen zum Cast exklusive Inhalte wie Bilder zum Download, ein Regisseur-Blog oder ein kurzes Behind-The-Scenes. Darüber hinaus bietet die interaktive Seite „Canada in the Great War“ umfangreiches Hintergrundwissen zur Rolle Kanadas im Ersten Weltkrieg, einen kompletten Unterrichtsführer, Archivfotografien und vieles mehr.

Das Feld der Ehre – Passchendaele (OT: Passchendaele)
Kanada 2008 /  114 min / FSK: 16 / Alliance Films, Whizbang Films, Rhombus Media, Damberger Film & Cattle Co.
Regie: Paul Gross
Drehbuch / Story: Paul Gross
Darsteller: Paul Gross / Caroline Dhavernas / Joe Dinicol / Meredith Bailey / Jim Mezon / Gil Bellows …mehr
Produktion: Francis Damberger / Niv Fichman / Paul Gross / Frank Siracusa
Musik: Jan A.P. Kaczmarek
Kamera: Gregory Middleton

Offizielle Website: http://www.passchendaelethemovie.com/

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