Berlinale-Programm veröffentlicht

Zur Pressekonferenz am 1. Februar 2011 wurde das diesjährige Programm der Berlinale vorgestellt. Weiterhin handelt es sich um eines der wichtigsten Filmfestivals weltweit. Dieses Jahr scheinen sich die eingereichten Beiträge weniger mit Krieg und Terror auseinanderzusetzen als z.B. in den letzten Jahren; zudem ist die Auseinandersetzung häufig eine indirekte. Nichtsdestotrotz ist das Programm ein interessantes. Nachfolgend stellen wir die thematisch relevanten Filme kurz vor.

Wettbewerb:

Coriolanus
Großbritannien; 2010, 122 min

Einer der interessanteren Wettbewerbsbeiträge dürfte Coriolanus von und mit Ralph Fiennes sein: Die gleichnamige Tragödie Shakespeares um einen römischen Kriegshelden, der sich gegen sein eigenes Volk wendet, wurde visuell in die heutige Zeit umgesetzt; der Dialog blieb unverändert.

El Premio (The Prize)
Mexiko, Frankreich, Polen, Deutschland; 2010, 115 min

Das autobiografische Erstlingswerk von Paula Markovitch spielt 1976 zum Beginn der argentinischen Militärdiktatur: Ein kleines Mädchen, Tochter von Dissidenten, darf nicht über ihre Eltern reden, um sie nicht zu gefährden. In einem Schulaufsatz über die Armee schreibt sie, was sie von ihrer Mutter gehört hat und bringt ihre Eltern damit in Gefahr.

Odem (Lipstikka)
Israel, Großbritannien; 2010, 90 min

Jonathan Sagalls Film handelt von zwei palästinensischen Frauen, die ein Geheimnis verbindet. Während der Intifada 1993 trafen sie auf israelische Soldaten – was dann geschah, stellt sich in den Erinnerungen sehr unterschiedlich dar.

Wer wenn nicht wir
Deutschland; 2011, 124 min

Andres Veiel hatte sich bereits in seinem Dokumentarfilm „Black Box BRD“ (2001) mit dem Terrorismus der RAF in Deutschland auseinandergesetzt. In seinem ersten Spielfilm erzählt er eine u.a. mit August Diehl besetzte Vorgeschichte zur RAF.

Mein bester Feind
Österreich, Luxemburg; 2010, 109 min

Der außer Konkurrenz gezeigte Wettbewerbsbeitrag von Wolfgang Murnberger ist eine mit Moritz Bleibtreu besetzte Komödie um Kindheitsfreunde, die sich 1943 als KZ-Häftling und SS-Hauptsturmführer gegenüberstehen. Man darf gespannt sein, ob es sich um bizarre Geschmacklosigkeiten, amüsanten Trash oder gar eine intelligente Komödie handelt – so schlecht stehen die Chancen für letztere aufgrund des Regisseurs gar nicht.

 

Berlinale Special:

Taxi Driver
USA; 1976, 114 min

Martin Scorseses Film über einen Taxifahrer und Vietnam-Veteranen (Robert De Niro), der gegen den ihn umgebenden „Schmutz“ zu Felde zieht, ist ein Klassiker: was geschieht mit den traumatisierten Soldaten, wenn sie wieder in die Zivilgesellschaft zurückkehren? Der Drehbuchautor Paul Schrader wird die im aufwändigen 4k-Verfahren restaurierte Fassung als Weltpremiere präsentieren.

 

Berlinale Shorts Wettbewerb:

Susya
Israel, Palästinensische Autonomiegebiete; 2010, 15 min

Der Kurzfilm von Dani Rosenberg (der bereits 2009 mit seinem Film „Homeland“ über einen Holocaust-Überlebenden überzeugte, der nach Israel kommt) und Yoav Gross handelt von zwei Palästinensern, die nach 25 Jahren ihr Heimatdorf besuchen, das inzwischen eine israelische Ausgrabungsstätte ist.

 

Panorama:

The Devil’s Double
Belgien; 2010, 108 min

Lee Tamahoris Film handelt von dem irakischen Offizier Latif Yahia (siehe auch sein Buch „Ich war Saddams Sohn“), der von Saddam Husseins sadistischen Sohn Uday als Doppelgänger auserkoren wird, damit dieser seinem zügellosen Luxusleben frönen kann – bis es 1991 zum Zweiten Golfkrieg kommt.

Dance Town
Republik Korea; 2010, 95 min

Das ruhige Drama von Jeon Kyu-hwan vermittelt die Einsamkeit einer aus Nordkorea geflohenen Frau, während ihr Mann verhaftet wurde.

Lo Roim Alaich (Invisible)
Israel, Deutschland; 2010, 90 min

Michal Aviads Film handelt von zwei Frauen, die einst Opfer eines Serienvergewaltigers wurden und die sich durch ihr Aufeinandertreffen mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Gesellschaftliche Realitäten werden dabei ebenfalls angesprochen: Die eine der beiden ist eine linke Aktivistin, die Palästinensern bei der Ernte hilft.

Tropa de Elite 2 – o inimigo agora é outro (Elite Squad 2 – The Enemy Within) 
Brasilien; 2010, 116 min

Nun gibt es auch auf der Berlinale Sequels zu sehen; doch in diesem Fall könnte es ein interessantes sein, war doch der Vorgänger aus dem Jahr 2007 ein beeindruckendes Werk und wurde zu Recht mit dem Goldenen Bären auf der Berlinale 2008 geehrt. Der Nachfolger (ebenso von José Padilha) ändert das Thema keinesfalls und handelt von einer Spezialeinheit in ihrem Kampf gegen die Kriminalität – aber auch von der hohen Korruption. Auch wenn es sich um das Thema der inneren Sicherheit handelt, führen wir diesen Film in unserer Liste mit auf.

 

Panorama Dokumente:

Barzakh
Finnland, Litauen; 2011, 59 min

Nach einer alten Sufi-Legende liegt Barzakh („der Ort, von dem niemand zurückkehrt“) an der Grenze zwischen Leben und Tod. In Tschetschenien verschwindet ein Mann – und im Laufe der Zeit wird sein Schicksal immer ungewisser. Der Film von Mantas Kvedaravicius behandelt ein Konfliktgebiet, das sich sicherlich wieder in Erinnerung rufen wird.

How Are You
Dänemark; 2011, 70 min

Der Film von Jannik Splidsboel behandelt die beiden dänischen Künstler Michael Elmgreen und Ingar Dragset, die seit 1995 zusammenarbeiten und nicht nur den furiosen Auftritt der nordischen Länder zur Biennale di Venezia 2009 bestritten, sondern auch das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Berlin gestalteten.

Im Himmel, unter der Erde – Der jüdische Friedhof Weißensee
Deutschland; 2010, 90 min

Britta Wauer erzählt die 130jährige Geschichte des größten aktiven jüdischen Friedhofs Europas, der in Berlin-Weißensee liegt und zu den wenigen Objekten gehört, die auch in der Nazizeit unter jüdischer Selbstverwaltung blieben. Weder der Friedhof noch sein Archiv wurden zerstört.

 

Forum:

Territoire Perdu (Lost Land)
Frankreich, Belgien; 2011, 75 min

Mit interessanten filmischen Mitteln erinnert Pierre-Yves Vandeweerds Werk an den Westsaharakonflikt und somit an das Schicksal der maurischen Saharauis, die im geteilten Gebiet der Westsahara leben: seit 1973 kämpft die sozialistische Polisario für eine Demokratische Arabische Republik Sahara, zuerst gegen die spanische Kolonialmacht, dann gegen Marokko, das 1976 bzw. 1979 die Westsahara annektierte. Seit dem Waffenstillstand von 1991 ist das Land faktisch geteilt, eine geplante Volksabstimmung zur Zukunft des Landes fand bis heute nicht statt.

Traumfabrik Kabul
Deutschland, Afghanistan; 2011, 82 min

Sebastian Heidinger portraitiert Saba Sahar: seit 18 Jahren ist sie Polizistin in Kabul, doch sie arbeitet zudem als Regisseurin, Produzentin und Schauspielerin. Ihr Thema ist die alltägliche Gewalt gegen afghanische Frauen; ihr unbeirrbarer Mut gibt Hoffnung.

 

Forum Expanded:

Entartete Kunst lebt
Israel; 2010, 5 min Loop

Yael Bertana läßt in ihrer Filminstallation die Figuren aus Otto Dix‘ verschollenem Gemälde „Kriegskrüppel“ (1920) auferstehen.

Gom O Gour (Into Thin Air)
Iran; 2011, 26 min

Am 8. September 1978 (und nicht 1979, wie im Berlinale-Programm) schießen Soldaten auf dem Jaleh-Platz in Teheran in die Menge. Der Verlauf bleibt überaus unklar; der „Schwarze Freitag“ ist auf jeden Fall eines der zentralen Ereignisse der islamischen Revolution im Iran. Mohammadreza Farzad konzentriert sich auf die knappe Minute an dokumentarischen Filmmaterial zu diesem Geschehnis.

 

Perspektive Deutsches Kino:

Vaterlandsverräter
Deutschland; 2011, 97 min

Annekatrin Hendels Film betrachtet das Leben des 1935 geborenen Schriftstellers Paul Gratzik. 1981 offenbarte sich der Inoffizielle Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes nach 20 Jahren Stasitätigkeit und informierte die Freunde, die er vorher verriet. Ab 1984 wurde er selbst Beobachtungsobjekt  der Staatssicherheit.

 

Generation:

Bad o Meh (Wind and Fog)
Iran; 2011, 74 min, ab 10 Jahre

Mohammad Ali Talebi beschreibt die Folgen des Golfkriegs zwischen Irak und Iran am Beispiel des Jungen Sahand: Sein Vater hat Arbeit auf einem Ölfeld gefunden, doch nach dem Kriegsausbruch wird das Haus zerstört und die Mutter getötet. Die Überlebenden gehen zurück in die Heimatstadt, doch die seelischen Wunden bleiben.

Land of the Heroes
Belgien; 2010, 17 min, ab 12 Jahre

Irak, 1988, und damit zur Zeit des Golfkriegs zwischen Irak und Iran. Der zehnjährige Dileer und seine Schwester wollen im Fernsehen Zeichentrickfilme sehen – doch überall sind nur Soldaten, wie Sahim Omar Kalifas Kurzfilm zeigt.

Crossing Salween
Irland; 2010, 22 min, ab 14 Jahre

Brian O’Malleys Kurzfilm zeigt die Flucht des Mädchens Ko Reh, einer Angehörigen des christlichen Volks der Karen; die burmesische Armee zerstörte ihr Dorf. Der reißende Fluss Salween (Saluen) trennt sie von der Rettung in Thailand.

Retrospektive:

Die diesjährige Retrospektive setzt sich mit dem Werk des Filmemachers Ingmar Bergman auseinander.

Det sjunde inseglet (The Seventh Seal) 
Schweden; 1956/57, 96 min

Im Mittelalter herrscht die Pest in Schweden. Der Ritter Antonius Block (Max von Sydow) kehrt von einem Kreuzzug in seine Heimat zurück, als ihm der Tod begegnet, der sein Leben fordert. Der Ritter spielt nun mit dem Tod Schach um sein Leben. Dieses faszinierende Werk Bergmans bleibt so bildgewaltig wie zeitlos.

 

Hommage:

2011 erhält der Schauspieler Armin Müller-Stahl den Ehrenbären für sein Lebenswerk. Einige seiner Filme werden hierzu gezeigt, und nicht wenige behandeln den Krieg:

Fünf Patronenhülsen
DDR; 1959/60, 88 min

Frank Beyer (1932-2006) war einer der besten Regisseure der DDR und setzte sich in seinem Werk immer wieder kritisch mit der deutschen Geschichte auseinander, so z.B. in „Nackt unter Wölfen“ (1963), „Jakob der Lügner“ (1974), „Der Aufenthalt“ (1983), „Ende der Unschuld“ (1991) und „Das letzte U-Boot“ (1993). In „Fünf Patronenhülsen“ wird der Kampf der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg gezeigt: eine geheime Nachricht ist in fünf Patronenhülsen verteilt; die Gruppe wird durch die Strapazen immer brüchiger.

Music Box
USA; 1989, 125 min

Constantin Costa-Gavras Drama basiert auf dem Fall von John Demjanjuk: Müller-Stahl spielt den nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA eingewanderten Ungarn Mike Laszlo, dem vorgeworfen wird, in der Nazizeit Juden gequält und getötet zu haben. Seine Tochter glaubt an seine Unschuld, die von ihm immer beteuert wird, doch die Beweise der Anklage werden immer bedrückender.

Utz
Großbritannien, Italien, Deutschland; 1991/2, 97 min

George Sluizers Film ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Bruce Chatwin (1940-1989): Der greise Baron Utz (Müller-Stahl) lebt während des Kalten Krieges in der Tschechoslowakei; immer wieder durfte er das Land verlassen, um seine Sammlung an Meißener Porzellan zu vergrößern und immer wieder kehrt er zurück, auch wenn er Gelegenheit zur Flucht hätte. So blieb er der Gefangene seiner Sammlung. Utz behandelt die Verantwortung des Individuums in einer Diktatur.

 

Talent Campus:

Filming War
Diskussionsrunde
Sonntag, 13.2.2011, 1400h, HAU1

Die Diskussionsrunde Filming War im Rahmen des Berlinale Talent Campus  beschäftigt sich mit den Fragen der filmischen Umsetzung des Krieges. Sie wird von Ben Gibson (Direktor der London Film School) moderiert und versammlt einige wichtige zeitgenössische Regie-Stimmen hierzu:

Der Bosnier Danis Tanović erhielt 2001 einen Oscar und einen Golden Globe sowie die Preise für das beste Drehbuch in Cannes und des Europäischen Filmpreises für seine nur allzu wahre Farce „No Man’s Land“ über den Bosnienkrieg.

Der Däne Janus Metz erhielt 2010 den Grand Prix de la Semaine de la Critique auf dem Cannes Film Festival 2010 für seine Dokumentation „Armadillo“, die den Einsatz dänischer Soldaten im Afghanistankrieg thematisiert.

Der israelische Regisseur und Drehbuchautor Samuel Maoz erhielt 2009 den Goldenen Löwen der 66. Filmfestspiele von Venedig sowie den Preis für das Beste Erstlingswerk des Europäischen Filmpreises 2010 für „Lebanon“. Der Film – abgelehnt von der Berlinale! – verarbeitet die eigenen Erlebnisse Maoz‘ im Libanonkrieg von 1982 aus der klaustrophobischen Perspektive einer Panzerbesatzung.

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